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Prüfungsangst und Lampenfieber mal anders: Wenn Menschen zu cool sind und sich selbst überschätzen

Veröffentlicht: 30. August 2015Kategorien: Psychologie

Da hat der netzaktive Lars Hahn vom innovativsten der innovativen Weiterbildungsinstitute LVQ mich mit seiner Blogparade ja vor eine Aufgabe gestellt! Prüfungsangst, Lampenfieber: Das kommt gar nicht so oft vor bei uns.

Dann aber fiel mir ein: Mir begegnen häufig Menschen, die ein bisschen zu wenig Prüfungsangst und Lampenfieber hatten und deshalb Karriereknicks erlebten. Die Konsequenzen einer Haltung, die zwischen Lockerheit und Selbstüberschätzung changiert, können genauso dramatisch sein wie der berühmte Blackout, im Extremfall den Studienabschluss oder Job kosten. Aus diesem Grund entschied ich mich, dass Thema anders zu drehen. Es gibt bei mir also #KeinLampenfiebertipps.

Das Ergebnis ohne Prüfungsangst ist oft dasselbe wie mit: Setzen, sechs!

Die negativen Konsequenzen von zu wenig Prüfungsangst sind dieselben wie von zu viel Prüfungsangst. In den meisten manchen Fächern darf man nicht unbegrenzt oft zu Prüfungen antreten, in Jura zum Beispiel nur zwei Mal. In anderen Fächern gibt es maximal drei Versuche. Bei den einen führt dabei der berühmte Blackout zum Durchfallen, bei den anderen bedingen Lernunlust bzw. eine zu hohe Selbstüberzeugung die schlechte Note. Leute ohne große Prüfungsängste denken etwa: „reicht ja, was ich gelernt habe. Werde schon performen.“ Oder um es im Slang meiner Kölner Heimat zu sagen „es hätt noch ever jott jejange.“

Die Ergebnis mit Lampenfieber: Man denkt, man macht sich lächerlich. Und ohne – es kann wirklich passieren

Die negativen Folgen von zu wenig Lampenfieber sind auch ähnlich. Menschen mit zu viel Lampenfieber haben Angst sich lächerlich zu machen. Menschen mit zu wenig machen sich vielleicht lächerlich – aber ohne es zu merken. Es kann auch harmloser sein: Bei Leuten, die sich leidlich vorbereiten und sich auch weniger in Frage stellen, verfestigt sich zum Beispiel ein schlechter Vortragsstil oder lausiges Englisch. Das ist nicht ganz so dramatisch für die Betroffenen selbst – sie können gut damit leben. Aber das Umfeld könnte leiden…

Was unterscheidet Menschen mit Prüfungsangst und Lampenfieber von solchen “ohne” aus psychologischer Sicht? Menschen mit Lampenfieber sind oft leistungsorientierter und abhängiger von der Meinung anderer. Sie stellen sich eher selbst in Frage. Sie haben Angst zu versagen. Menschen ohne Lampenfieber gehen unbekümmert rein und denke weniger nach.

Psychologisch gesehen: Wenig(er) Versagensängste

Leute mit weniger Prüfungsangst haben also tatsächlich weniger Angst zu versagen. Sie trauen sich schneller zu, etwas zu wissen, zu können und zu schaffen. Das macht sie grundsätzlich experimentierfreudiger und schneller bereit, sich druckvollen Situationen zu stellen. Das ist Chance – kann aber auch Risiko sein. Ein Risiko wäre es nach der ersten versemmelten Juraprüfung unbekümmert in die zweite zu stolpern.

Einige Menschen mit weniger Prüfungsangst sind auch berechnend: Aufwand und Nutzen müssen im guten Verhältnis zueinander stehen. Deshalb sind viele sehr effizient. Und meine persönliche Erfahrung ist, dass deshalb viele Abiturienten mit mittleren Noten später im Management mittelständischer Unternehmen weit kommen. Sie investieren in sich und andere, wenn es sich lohnt. Und wenn nicht, dann nicht.

Die Coolen sind berechnender

Eine Eins im Abitur kostet etwa 100% mehr Lernzeit als eine Zwei. Das ist meine persönliche Hypothese, kann gerne mal jemand in einer Bachelor- oder Masterthesis überprüfen 😉 Das gilt in Zeiten der Inflation guter Noten noch mehr, denn die Zwei von heute ist eine Vier von früher. Das ist nicht nur meine Meinung, sondern weitgehender bildungspolitischer Konsens. Leute mit Prüfungsangst lernen auf eine Eins, um Anerkennung zu bekommen und „mitzuhalten“. Die Coolen ohne Prüfungsangst lernen auf eine Eins aufgrund der selbst berechneten Kosten-Nutzen-Relation. Wer nicht Medizin studieren will, dem reicht auch eine Zwei.

Kosten-Nutzen-Bilanz mit Spaß dick unterstrichen

Manche ohne Prüfungsangst machen auch nur, was ihnen Spaß macht (in der Kosten-Nutzen-Bilanz steht Spaß dick unterstrichen bei Nutzen). Die Meinung anderer ist ihnen weniger wichtig. Das ist gerade bei jüngeren, technisch oder im politisch-gesellschaftlich begabten, oft männlichen Schülern verbreitet. Sie sind intrinsisch motiviert, aber von allem anderen außer Schule. Das wird völlig verkannt: Dass die echten Talente unserer Zeit – die begnadeten Hacker, Techies und auch die verbal starken Selbstdenker – oft die sind, die den ganzen Notenzirkus nicht mitmachen und eben nicht die Lieblinge der Lehrer sind. Diese Leute müssen sich nicht anstrengen, wenn sie etwas interessiert, aber sie tun auhc nichts, was sie als sinnlos erachten. In unserer kreativitätsintensiven Flow-Arbeitswelt 4.0 eigentlich optimale Mitarbeiter. Aber genau die filtert unser Schulsystem gerade systematisch raus.

Persönlichkeitsmerkmale von Ängstlichen und weniger Ängstlichen

Eine Studie unter Eliteschauspielern ergab, dass es psychologische Prädiktoren für Lampenfieber gibt: So haben Menschen mit höherem Neurotizismus (Instabilität in den Big Five) eher Prüfungsängste, außerdem Menschen, die sich eher als Opfer denn als Gestalter ihres Lebens sehen – und Frauen (hier)  Umgekehrt haben Kandidaten mit weniger Ängsten eine höhere emotionale Stabilität und sind weniger lageorientiert (sehen sich nicht so sehr als Opfer). Sie denken, das Leben liegt in ihrer Hand. Mir fällt jemand ein, der war so stabil und in sich ruhend, dass er auch nach 120 Absagen keinerlei Zweifel an der Richtigkeit seiner Strategie bei Bewerbung und Vorstellungsgespräch hat. Das ist die Gefahr beim Zuviel-Von. Man merkt einfach nicht, dass man auf der völlig falschen Spur ist. Beratung suchen diese Leute auch nur, wenn alle Stricke gerissen sind. Sie sagen mir dann sowas wie „wäre ich doch mal früher zu Ihnen gekommen, aber ich war so überzeugt von mir und meiner Vorgehensweise.“

Menschen ohne Prüfungsangst teile ich in zwei Kategorien. Kategorie Eins sind die mit der positiven Effizienzbilanz: am Ende kommt das raus, was rauskommen soll. Diese Leute berechnen genau, was sie tun müssen und können einschätzen, was das Ergebnis sein wird. Es gibt dann keine bösen Überraschungen. Sie sind in der Balance. Es gibt wenig Probleme, alles ist gut.

Aber es gibt auch die Kategorie Zwei. Das sind die, die sich überschätzen. Bei Kategorie Zwei können die Überraschungen böse sein – und eine negative Effizienzbilanz aufweisen: Was diese Menschen investieren, ist zu wenig für ein Ergebnis, das ihren Zielen gerecht wird. Sie sind von den schlechten Noten, dem Durchfallen oder dem saumiesen Vortrag oft selbst überrascht, wenn sie von alldem überhaupt was merken. Es kann sein, dass sie das Ergebnis unter den eigenen Berechnungen dann auf die Umstände beziehen: war eben ein doofes Publikum, der Professor konnte mich nicht leiden. Das sind schlechte Vorrausetzungen für eine erfolgreiche zweite Runde, denn hier werden sie ihre Anstrengungen vermutlich nicht wesentlich erhöhen. Die Folge ist Scheitern. Und das ist nun mal ärgerlich am Ende ohne alles dazustehen, zum Beispiel nach sieben Jahren Jurastudium.

Wer die Ursachen dagegen auch bei sich selbst sucht, für den ist jetzt vielleicht der Moment gekommen: Er/sie ist dann an ihrer Ehre gepackt und bereitet sich beim nächsten Mal besser vor. Anders ausgedrückt: Die Erfahrung führt zu einem Erkenntnisgewinn und einer Strategieänderung.

Guitar Boy, freigestellt

Wenn Sie sich wiedererkennen als jemand, der nicht genügend Prüfungsangst und Lampenfieber hat, folgende Tipps für Sie:

  • Machen Sie sich klar, was Sie wirklich erreichen wollen, und was Sie bereit sind zu investieren, um zu diesem Ziel zu kommen.
  • Wenn Sie regelmäßig schlechter abschneiden als gedacht, schreiben Sie Lernzeiten auf. Vergleichen Sie diese mit denen von Kommilitonen. Liegen Sie darunter, steigern Sie den Einsatz.
  • Überprüfen Sie eigene Glaubenssätze wie „wird schon gutgehen“ und reframen Sie diese in „die Wahrscheinlichkeit auf eine 2,3 steigt mit 15% mehr Zeiteinsatz“.
  • Wenn Sie wenig Motivation aus sich selbst entwickeln können, bilden Sie Lerngruppen. Gruppendruck hilft auch den Coolen. Funktioniert auch via Skype.
  • Wenn Sie öfter vortragen müssen und da bisher wenig über ihren Output nachgedacht haben: Stellen Sie sich Ihr Publikum öfter und konkreter vor. Was erwarten sie? Was wünschen sie sich von Ihnen? Es kann sei, dass die Aufregung steigt, wenn Sie das tun. Aber in Ihrem Fall ist das eher positiv 😉
  • Hören Sie tiefer in sich hinein: Wahrscheinlich gibt es doch eine Stimme, die Ängste verspürt, sie ist nur leise oder wurde frühzeitig in den Keller geschlossen. Möglich, dass der bisherige Lebenserfolg auf einer gewissen Lockerheit gründete und sie deshalb gar nicht zulassen, das Bibbern zu spüren. Öffnen Sie mal Ihre Kellertür. Könnte interessant sein: Denn mit höherer Aufregung steigt auch die Konzentration, und in der richtigen Dosierung auch die Leistung.

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

7 Kommentare

  1. Christiane 31. August 2015 at 18:15 - Antworten

    Hallo Frau Hofert,

    sehr interessanter Artikel, ein ungewöhnliches Thema und dann noch eine differenzierte Analyse in beide Richtungen – so etwas liest man leider viel zu selten im Netz.

    Ich selber würde mich momentan so beschreiben, dass ich mich von der sehr Prüfungsängstlichen zur eher Lockeren entwickelt habe. Dies aber vor allem deshalb, weil die “Prüfungen” im Vergleich Abi/Uni vs. Vorstellungsgespräch immer mehr sozialen Charakter anzunehmen scheinen. Und da habe ich wohl durch Beobachten gelernt, dass weniger Getresstsein einen besseren Gesamteindruck hinterlässt; ganz abgesehen davon, dass nach Pareto bekanntlich 20 Prozent des Aufwandes für ein 80-prozentigen Resultat reichen.

    Allerdings gebe ich zu, zwischenzeitlich und andere Extrem verfallen zu sein: habe wenig Mühe in meinen (seinerzeit) aktuellen Job und die Stellensuche investiert, und hatte so auch einige sicherlich vermeidbare Misserfolge.

    Und noch eine Anekdote: zuvor war ich für meinen Geschmack erfolgreich im falschen Gebiet, ein Umstand, den mir mein gesamtes Umfeld immer ziemlich unverständig unter die Nase gerieben hat. Das halte ich persönlich für den Auslöser meines Strategiewechsels.

    Offenbar kann sich ein Mensch also auch in diesen Aspekten (bewusst) verändern.

    Viel Erfolg allen beim Finden des richtigen Maßes!

    Christiane

  2. […] Prüfungsangst und Lampenfieber mal anders: Wenn Menschen zu cool sind und sich selbst überschätze… von Svenja Hofert (30.08.2015) […]

  3. Jörg K. Unkrig 7. September 2015 at 13:48 - Antworten

    Stimme meiner Vorrednerin zu. Sehr guter und differenzierter Beitrag zu einem wichtigen Thema.
    Oft hört man nur von den negativen Seiten, wenn man vor und in einer Prüfung aufgeregt ist. Aber ein gewisses Grundrauschen (Stress) braucht man in Prüfungen, um engagiert rüberzukommen. Andererseits ist es natürlich schädlich, wenn ein zuviel an Angst vorhanden ist, die einen dann lähmt. Ich kann nur dazu raten, sich häufig in Prüfungssituationen zu begeben, wenn man einen Job oder eine Stelle sucht.
    Ängste werden nicht weniger, wenn man sich ihnen nicht aussetzt.

  4. […] Prüfungsangst und Lampenfieber mal anders: Wenn Menschen zu cool sind und sich selbst überschätze… von Svenja Hofert (30.08.2015) […]

  5. Verena Großberger 9. Januar 2016 at 8:59 - Antworten

    Guten Tag Frau Hofert,
    vielen Dank für diesen großartigen Artikel! Ich bin mir sicher, er hat einigen Personen, die nicht unter Prüfungsangst leiden, die Augen geöffnet und den Personen, die unter Prüfungsangst leiden, verdeutlicht, dass Prüfungsangst nicht immer was Schlechtes ist. Besonders die Aufwand-Nutzen-Theorie ist ein hilfreicher Ansatz, um auch weniger motivierten Menschen genau den Anreiz zu geben, der zum Erreichen der Ziele benötigt wird.
    Beste Grüße
    Verena Großberger

  6. Moritz 21. Januar 2017 at 8:57 - Antworten

    Ich schließe mich meinen “Vor-Kommentatoren” an: Sehr interessanter Artikel, der auch mal die andere Seite beleuchtet.
    Klar ist es hinlänglich bekannt, dass Prüfungsangst bis zu einem gewissen Level durchaus hilfreich sein kann: Die Sinne sind geschärft, Adrenalin durchströmt den Körper und auch die letzte Leistungsreserve steht einem zur Verfügung.
    Dass es jedoch zum Teil fatale Folgen haben kann, wenn dieses Level unterschritten wird, bedenkt man selten…
    Bei mir persönlich wurde dieses Level leider immer wieder überschritten, weswegen ich es schließlich mit Hypnose versucht habe.
    Der Hypnosetherapeut konnte auch tatsächlich den Ursprung meiner Angst ausmachen: Mein erstes Referat in der Grundschule. Das hatte ich, zumindest bewusst, schon komplett vergessen, aber unterbewusst war das der Grund meiner Prüfungsangst.
    Wir haben das Erlebnis dann immer und immer wieder durchgespielt, bis schließlich aus Angst Mut wurde.
    Et voilà: Keine Prüfungsangst mehr. Nur noch gesunden Prüfungsstress, der die Leistung etwas befeuert 🙂

  7. Dennis Koch 6. Februar 2017 at 17:52 - Antworten

    Hallo Frau Hofert,

    Bin eben zufällig über Ihren Artikel gestoßen und habe ihn mit großem Interesse verschlungen. Sehr interessant, von welcher Seite Sie dieses Problem aufgezäumt haben. Besonders die “Gremlins in my head” Studie, auf die Sie verweisen, ist wirklich hochinteressant zu lesen gewesen. Besten Dank dafür!

    Tatsächlich vertrete ich auch selbst die Meinung, dass zu wenig Prüfungsangst auch alles andere als gesund ist, zeigt es doch, dass einem eine bestimmte Sache schlichtweg nicht wichtig genug ist. Zwar habe ich mich bei Weitem nicht so elaboriert mit der Thematik auseinandergesetzt wie Sie, habe hierzu aber auch meine Meinung in einem Blogartikel dargelegt: http://bit.ly/2kKqPKB

    Herzlichen Dank nochmals für den erfrischenden Artikel aus Ihrem Archiv, mit dem Sie einen neuen Leser für Ihren Karriereblog gewonnen haben!

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