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“Führungskräfte müssen Widersprüche akzeptieren können” (Interview Führungskompetenzen)

Veröffentlicht: 12. Juni 2015Kategorien: Führung & Organisation

Barbara Simonsen Portrait FotoAls neue Führungskraft sollten Sie erst einmal Beziehungen aufbauen – und lernen Widersprüche anzunehmen. Das und viel mehr sagt Barbara Simonsen, die vor knapp einem Jahr Teilnehmerin meines Seminars „Karriereexperte Professional“ war – und als Abschlussarbeit ein auffallend professionelles Konzept eingereicht hat. Ich bewundere, wie aktiv sie auf unterschiedlichen Ebenen ist, wie nachhaltig sie ihr Geschäft aufbaut und wie leidenschaftlich sie immer wieder Neues lernt. Weil sie so viele und vor allem auch fundierte Tipps für Führungskräfte hat, habe ich mit ihr ein Worklifestyle-Interview gemacht.

Stell dich ich doch kurz vor!

Mein Name ist Barbara Simonsen. Ich bin verheiratet und habe einen erwachsenen Sohn. Mittlerweile lebe ich seit 28 Jahren hier in Norddeutschland in der Nähe von Lübeck, doch es dauerte sehr lange, bis ich mich als Schweizerin an den stürmischen Wind und die Weite der Landschaft gewöhnt habe. Die Berge vermisse ich allerdings immer noch sehr. Meine letzte große Tour führte mich in den Himalaya bis auf 5.400m. Das war kurz bevor ich – der Liebe wegen – in den flachen Norden zog. Seit wenigen Jahren bin ich selbständig und habe mich mit meinem Unternehmen Simonsen Management auf Führung und Karriere spezialisiert: „Als Führungskraft kompetent handeln und die Karriere stimmig gestalten!“, lautet das Motto. In meinen Formaten Coaching, Consulting, Training bringe ich meinen ganzen Schatz an langjähriger Führungserfahrung im Gesundheits- und Sozialwesen ein und unterstütze dadurch die Kompetenzentwicklung von Führungskräften. Damit meine Erfahrungen wirklich Hand und Fuß bekamen, habe ich sie fortlaufend auf den Prüfstand gestellt und zum Beispiel auf dem Hintergrund von theoretischen Konzepten reflektiert – in meinem Studium zum Master of Business Administration-MBA. Bei Dir, Svenja, habe ich mich als „Karriereexpertin Professional“ weitergebildet. Das hat mir noch einmal verdeutlicht, wie eng Führung und Karriere zusammenhängen. Denn jedes Führungsverhalten hat eine Auswirkung, und diese gilt es im Blick zu behalten, wenn bestimmte Karriereziele im Sinne eines Aufstiegs auf der Karriereleiter erreicht werden sollen.

Was ist dein Worklifestyle und findest du dich wieder?

groupDer für mich ermittelte Style ist „Better World“. In dieser Präferenz finde ich mich auf jeden Fall wieder, denn für mich spielt soziale Verantwortung eine große Rolle. Seit meiner Kindheit beschäftige ich mich mit der Frage nach Gerechtigkeit und Fairness. Deshalb muss das, was ich tue, auch nützlich für die Welt sein. Es muss sinnvoll sein und soll das Leben anderer ein Stück weit verbessern. Dazu passt auch ein aktuelles Vorhaben von mir: Ich bin als Kandidatin für den Aufsichtsrat – das Supervisory Board – der Christoffel Blindenmission International-CBM nominiert. (Die Wahl wird Ende Juni stattfinden.) CBM gehört zu den größten Entwicklungshilfeorganisationen und sorgt dafür, die Lebensqualität von behinderten Menschen in Entwicklungsländern zu verbessern. Nach dem Abi (Matura in der Schweiz) habe ich zuerst Jura studiert. Angetrieben war ich auch hier vom Gedanken, als spätere Jugendanwältin für die Gerechtigkeit einzutreten. Allerdings wechselte ich später doch zum Gesundheitswesen und wurde Diplom-Physiotherapeutin. Ich kam sehr schnell in Leitungsverantwortung, was mir richtig Spaß machte: für die kompetente Entwicklung meiner Mitarbeitenden einzutreten und damit für gute Behandlungsergebnisse bei den Patienten zu sorgen. Dass ich stets in Not-for-profit-Organisationen tätig war, passt auch zum Karriereumfeld von „Better World“. Gerade in der Managementverantwortung konnte ich einiges gestalten und mich weiter entwickeln. Ich erlebte zwar auch Rückschläge und nicht alles gelang mir als Geschäftsführerin einer kirchlich-diakonischen Bildungseinrichtung und als Gesamtleiterin einer zentralen Einrichtung an einer Uniklinik (jeweils 60 Mitarbeitende).

In meiner Leadership-Funktion ging es mir stets um mehr Menschlichkeit und Fairness in den Organisationen. Eine den Menschen und ihren Bedürfnissen zugewandte Haltung einzunehmen, das ist es, was ich Leadership zuordne. In diesem Sinne trete ich auch für mehr „Augenhöhe“ und „New Work“ ein. Übrigens gab es einen solchen Trend in der Arbeitswelt schon einmal – nämlich in den 80-er Jahren. Bereits damals habe meine Leitungsverantwortung mit den Mitarbeitenden „geteilt“ und führte Modelle zur Entscheidungs- und Verantwortungsbeteiligung ein. Klar „Better World“!

Was müssen Führungskräfte von heute können?

Zum Bewältigen der unternehmerischen Herausforderungen und der Führungssituationen benötigen Führungskräfte meines Erachtens vor allem …

  • Handlungskompetenzen, die nicht bloß aus theoretischem Wissen bestehen, sondern durch Reflexion der Erfahrungen am Arbeitsplatz und durch Ausprobieren von neuen Handlungsweisen angeeignet werden. Dies bedeutet auch, dass Führungsentwicklung nur gelingt, wenn Wissen mit dem Handeln in konkreten Führungssituationen verknüpft wird. Dann ist der Praxistransfer inklusive!
  • Fähigkeit der Reflexion: Die Kompetenz der Reflexion ist heutzutage eine wesentliche Voraussetzung für kluges Führen in komplexen Angelegenheiten. Dabei geht es um die Reflexion der eigenen Person (z.B. „Was ist meine Führungsmotivation?“) und des eigenen Verhaltens (z.B. „Wie gehe ich mit Erwartungen um?“) ebenso wie um das Kreieren einer reflexionsorientierten Kultur im Verantwortungsbereich („Wie verhalten wir uns bei Konflikten im Team?“). Durch Reflexion kann die Führungskraft Situationen gedanklich besser durchdringen und verschiedene Verhaltensmöglichkeiten abwägen. Ihr Handlungsspektrum wird deutlich größer.
  • Fähigkeit, mit Widersprüchen umzugehen: Eine wesentliche Aufgabe als Führungskraft liegt darin, unterschiedliche Positionen zu überbrücken – wie zum Beispiel die Ziele des Unternehmens und die Interessen der Mitarbeitenden. Damit sich die Führungskraft in diesem Spannungsfeld souveräner bewegen kann, muss sie Ambiguitätstoleranz entwickeln, z.B. indem sie sich von einem „Entweder-oder-Denken“ verabschiedet und auf „Sowohl-als-auch-Situationen“ einstellt. Dadurch kann die Führungskraft wesentlich gelassener mit widersprüchlichen Führungssituationen und dem inneren und äußeren Druck umgehen.

All diese Kompetenzen können entwickelt werden – am besten im Austausch und Dialog mit anderen: mit einem Mentor, einem Coach, dem Vorgesetzten, im Tandem mit einem Kollegen, einer Peer-Group und auch im Freundes- und Familienkreis.

Was ist in den ersten 100 Tagen als neue Führungskraft besonders wichtig?

LeadershipEin Führungswechsel ist eine heikle Angelegenheit, besonders wenn die Führungskraft intern aufgestiegen ist oder wenn ein starker Vorgänger den Verantwortungsbereich und das Team dominiert hat. Eine Stellenübernahme durch einen Neuen führt dazu, dass bisherige Strukturen und Ziele auf den Prüfstand kommen und neue Spielregeln für die Zusammenarbeit ausgehandelt werden müssen. Dies kann gelingen – oder eben auch nicht! Meist lässt sich erst nach circa zwei bis drei Jahren erkennen, ob man als Führungskraft wirklich Fuß gefasst hat.

Die Ziele für die ersten Wochen als neue Führungskraft lauten deshalb:

  • rasch Überblick und Orientierung über den Verantwortungsbereich und das Unternehmen gewinnen
  • zügig tragfähige Beziehungen mit den wichtigsten Akteuren aufbauen
  • mögliche Stolpersteine geschickt umgehen
  • bald handlungsfähig werden
  • Akzeptanz erreichen und Vertrauen entwickeln

Gerade zu Beginn wird nahezu jedes Verhalten des neuen Chefs von den Mitarbeitenden unter die Lupe genommen und auf seine Bedeutung interpretiert: Was meint der Neue? Was bedeutet das für mich? Kann ich ihm trauen?

Wenn ein Führungsneuling sozusagen planlos in eine neue Position hineinstolpert, ist das Risiko groß, dass …

  • es länger dauert, bis belastbare Arbeitsbeziehungen aufgebaut sind.
  • er als neue Führungskraft nicht akzeptiert wird.
  • er nur aufgrund vieler Erklärungen und dem Verständnis der anderen sich wieder aus einer Sackgasse herausmanövrieren kann.
  • er sich ganz aus der neuen Leitungsstelle aushebelt und den Führungsposten zum Beispiel zum Ende der Probezeit verlassen muss.

Welche Tipps kannst du jungen Leuten geben, die vor einem Führungswechsel stehen?

Damit der Start und die ersten 100 Tage wirklich gelingen, …

  • ist eine gute Vorbereitung wichtig – durch Sammeln von Informationen über die Organisation, das Gesamtunternehmen etc, mit einer vorbereiteten Roadmap für die ersten Tage und Wochen, mit dem Erstellen des eigenen Kompetenzprofils für die spätere Führungsentwicklung.
  • muss der Stabwechsel deutlich gemacht werden: mit Würdigung des Vorgängers und der Anerkennung der bisherigen Leistung der Mitarbeitenden, mit Gesten und mit Worten, z.B. mit einer Antrittsrede und Vorstellungsrunde am ersten Tag. Damit wird die Verbreitung von Gerüchten über die eigene Person und über die Auffassung zur Zusammenarbeit vermieden.
  • sollte übertriebener Aktionismus in den ersten Wochen vermieden werden – also nicht alles Bisherige über den Haufen geworfen werden. Geschickter ist es, die Haltung eines Erforschers einzunehmen: das neue Territorium aufmerksam erkunden und auf ruhige Weise die Fäden in die Hand nehmen. Alltagsroutinen sollten zu Beginn fortgesetzt und nach und nach neue Akzente gesetzt werden, z.B. mit der Einführung von gut strukturierten Teammeetings. Dadurch wird die unsichere Zeit des Führungswechsels stabilisiert.
  • müssen unbedingt die Erwartungen vor allem der drei für den Start wichtigsten Akteure (Vorgesetzter, Mitarbeitende, Kollegen) in Gesprächen aktiv erfragt werden. Erwartungen sind nicht mit Aufgaben gleichzusetzen, die erfüllt werden müssen. Aber man muss die Erwartungen, die an die Führungsrolle gerichtet werden, kennen, um einen eigenen Standpunkt zu entwickeln, ggf. Nein zu sagen oder um Kompromisse auszuhandeln.
  • sollte man den Menschen mit Respekt begegnen und auf faires Verhalten achten. Konflikte sind nicht zur vermeiden, aber sie sind mit Fairness zu lösen – sei es Fairness in der Kommunikation oder bei der Gestaltung von Abläufen.

Mein wichtigster Tipp an Führungsneulinge: Lassen Sie sich in der Anfangszeit unterstützen – durch interne oder externe Begleitung und Austausch auf Augenhöhe. Dann wird die Anfangszeit leichter!

Barbara Simonsen hat auch ein ein tolles CD-Trainingskonzept für junge Führungskräfte entwickelt, mehr Info hier.

 

 

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

One Comment

  1. MB-Training 21. Juni 2015 at 23:07 - Antworten

    Junge Führungskräfte müssen oftmals noch sehr viel lernen und sollten sich vor allem die vorherrschenden Führungsstrukturen bestens ansehen. Die ersten 100 Tage reichen da meist aus, um einen Überblick über das Unternehmen zu gewinnen. Danach heißt es lebenslänglich Lernen, was es mit Führung auf sich hat. Insbesondere sollte eine ausgereifte Führungskraft auch die emotionale Komponente nicht vernachlässigen und eine gute Intuition bzw. ein gutes Bauchgefühl entwickeln, um wirklich eine gute Führungskraft zu werden.

    Viele Grüße

    Michael Büchler

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