Kategorien

„Ich will aber einen richtigen Beruf!“ Warum die Suche nach dem Etikett oft zur falschen Wahl führt

Veröffentlicht: 16. Dezember 2013Kategorien: Führung & Organisation

Der exotischste Beruf, den ich mal in einem Roman gelesen habe, war der Eventmanager. Sonst kommen in der Belletristik und in der Unterhaltungsliteratur, an dieser Stelle  ist Unvereinbares vereint, immer nur Autoren, Ärzte, Psychologen und Rechtsanwälte vor. Lehrer selten. Sie eignen sich nicht so gut als Helden. Wie auch Beamte. Sie werden nicht mal Mörder. Schriftsteller kennen einfach nicht mehr. Nicht nur sie.

Was denken Sie – was formt einen Berufswunsch am allermeisten? Es ist das, was man kennt, zum Beispiel aus Romanen, dem Fernsehen und von Zuhause. Das, was einen Namen hat, den auch Tante Ilse versteht, die pensionierte Lehrerin ist.  Insofern ist die Berufswahl heute nicht viel anders als die von 1970.

Dass immer die gleichen Ausbildungsberufe gewählt werden, ist ein gemeinhin bekanntes Phänomen und auch Problem. Es hat mit der in einem meiner Beiträge beschriebenen Verfügbarkeitsheuristik zu tun: Ein Milchtechnologe ist für uns eben weniger verfügbar als ein Verkäufer. MINT, also die Berufe rund um IT und Naturwissenschaften, ziehen aufgrund größerer Verfügbarkeit gerade etwas an. Doch noch schleppend. Nach wie vor fallen Akademikern beim Thema Studienfachwahl zuerst Medizin, Recht und Lehramt ein, gemeinhin Studiengänge, die – anders etwa als Informatik, Physik oder auch Mathe – in Berufe münden.

Dabei haben diese sehr verfügbaren Studiengänge alle ihre Haken:

  • Medizin ist nur für die ganz fleißigen erreichbar, überwiegend Mädchen, es sei denn Papa bezahlt den Studienplatz in Ungarn.
  • Ein Studium der Rechtswissenschaft birgt ein großes Risiko, denn nirgendwo sind Noten so entscheidend für die weitere Karriere. Es ist kaum berechenbar, ob man es bis in die Staatsanwaltschaft schafft.
  • Lehramt bietet einen scheinbar sicheren Platz, aber zieht oft die Falschen (jene, die sicherheitsorientiert denken).  Es könnte aber sein, dass der Beamtenstatus mal kassiert wird.

Man kennt akademische Berufe nicht nur aus Romanen und dem Fernsehen, sondern auch von zuhause. Die Folgeberatungen zu meinem Buch „Am besten wirst du Arzt“ haben mir Einblick in eine Reihe von Arztfamilien gegeben, aber auch in Rechtsanwalts- und Lehrerhaushalte. (Ich frage mich, was passiert wäre, hätte ich das Buch „Am besten wirst du Polizist“ genannt). Tatsache: Das Buch spricht eine gebildete Schicht an, was mir auch in Rezensionen schon vorgeworfen wurde. Aber es ist auch so: Unsere Zielgruppe SIND eher Gebildete, über Hafenarbeiter weiß ich wenig.

Etwas hat sich allerdings verändert in den letzten fünf, sechs, vielleicht zehn Jahren. Bis dahin durfte man Germanistik studieren und keiner hat was gesagt.  „Was willst du denn damit machen?“ – diese Frage kommt, wenn ich das recht beobachte, erst seit einigen Jahren schon auf Erstsemester zu, die es wagen ein Fach zu studieren, das zu nichts Konkretem führt. Der Fragen-Druck kommt von Freunden, Tanten und Onkeln, durchaus nicht nur aus Arbeiterfamilien, sondern eben auch von Akademikern der Klassiker-Berufe. Naja, Druck: Eigentlich gibt es den nicht, das sagen mir Eltern UND ihre Kinder. Alles ist harmonisch, und dauerndes Nachfragen ist ja nun wirklich kein Druck. So eine Frage wie „was willst du denn damit machen?“ ist ja mal erlaubt. Schließlich finanziert man ja das Ganze. Und dann muss nichts Besseres Rauskommen, aber etwas, das einen Namen hat. Aber was ohne Namen auf keinen Fall.

Nun schauen Sie mal in die Stellenmärkte, nichts hat mehr einen Namen.  Der Informatiker arbeitet als Projektleiter und die Psychologin als Senior Consultant, das sind so komische Sachen, die sich Tante Ilse, die ja Lehrerin ist, schlecht vorstellen kann.

„Ich will aber etwas studieren, wo ich hinterhersagen kann, ich werde ABC“, ist das mit Abstand am häufigsten vorgebrachte Argument gegen Studiengänge, die nicht eindeutig in einen Beruf münden. Das hat sich, so scheint es mir, in den letzten Jahren sogar verstärkt.

Ich sage dann: „Aber Sie sind doch dann z.B. Wirtschaftsinformatiker oder Kommunikationswissenschaftler.“ Und ich höre: „Aber das ist doch kein Beruf. Ich will so etwas wie Lehrer oder Arzt.“

Hm.

Wenn ich mit jungen Leuten arbeite und nach und nach ihr „Karrierehaus“ erstelle, das ist eines meiner Tools zur Visualisierung von Kompetenzen, denn lasse ich sie aufmalen, was sie von der Arbeitswelt so wissen. Das ist meist erschreckend wenig, gerade bei Lehrer-, Arzt- und Juristenkindern. Ein bisschen besser sieht es bei Unternehmern aus. Deren Kids sind auch anders. Die sind lebensnäher. Sie haben meist schon was gearbeitet.  Und das Etikett ist ihnen nicht so wichtig.

Ich verstehe, dass die Identität an diesen Dingen hängt. Es ist aber schade, dass das für einige wichtiger ist als das, was wirklich wichtig ist: eine positive Lern- und danach Berufserfahrung. Was bringt der tolle Beruf, wenn das Lernen schwer fällt und dass was man damit hinterher machen kann, so gar nicht passt. Es gibt Sozialpädagogen, die  Hoteldirektoren und Lehrer, die Vorstand wurden. Man findet immer irgendwie dahin, wo man von der Persönlichkeit hinpasst. Aber man sich Frust auf dem Weg dahin ersparen und Umwege sowie ein durch frühzeitig schlechte Erfahrung angeschlagenes Selbstbewusstsein.

Was bin ICH eigentlich? Als ich heiratete, wusste ich nicht, was ich dem Standesbeamten sagen sollte. Bin ich Historikerin, Sprachwissenschaftlerin, Pädagogin, Werbetexterin, Journalistin, Projektleiterin, Abteilungsleiterin, HR Consultant oder gar Unternehmerin? „Bunter Lebenslauf“, sagte die NDR-Journalistin, die mich dieses Jahr für NDR Info interviewte. Ich protestierte. Ich empfinde meinen CV als kein bisschen bunt, denn alles baute aufeinander auf. Mein CV ist typisch FREIE Wirtschaft, jedenfalls bis zu meiner Gründung vor 13 Jahren.

Manches Ausprobierte war am Ende des Tages nicht meine Sache, aber heute ist es ein Riesenvorteil, dass ich Headlines texten kann, Texte beurteilen, weiß wie Medien ticken und schnell erkenne, was funktioniert und was nicht.

Alles stimmt und stimmte zu seiner Zeit. Etiketten werden immer unwichtiger, je mehr die Persönlichkeit wächst. Und Etiketten verschwimmen, je spezieller Wissensarbeit wird.

Aber das sagen Sie mal jemand mit 19.

Beitrag teilen:

Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

6 Kommentare

  1. Anja Worm 16. Dezember 2013 at 8:55 - Antworten

    Liebe Frau Hofert,
    ich verfolge Ihren Blog mit großem Interesse. Ich kann Ihnen da nur beipflichten. Die Suche nach dem richtigen Studienfach oder der richtigen Ausbildung sollte in erster Linie der Persönlichkeit folgen. Ich habe gerade fast täglich Vorstellungsgespräche und stelle auch bei mir fest, wie wichtig mir bei einem Bewerber die Persönlichkeit ist und nicht das, was etikettiert wurde. Ich bekomme tolle Lebensläufe und im Gespräch kommt dann so gut wie nichts rüber – und natürlich auch anders herum.
    Ich freue mich über Ihren Blogeintrag, den ich exakt so unterschreiben würde. Viele Grüße Anja Worm

  2. David Hesse 18. Dezember 2013 at 0:10 - Antworten

    stimme dem voll zu.
    Habe die selben Erfahrungen in peinlichen Job Interviews machen muessen und mich von einer 23 Jahre alten HR “Fachkraft” fragen lassen muessen, ob ich denn überhaupt wüsste was ich wolle, da mein CV auch sehr viele Stationen aufweist.

  3. Lars Hahn 18. Dezember 2013 at 10:41 - Antworten

    Klasse Artikel! Berufe sind oft nur Schall und Rauch! Mein eigenes Beispiel: Ich bin studierter Diplom-Pädagoge. Da fällt den Leuten zu ein: Lehrer oder Sozialarbeiter.

    Dabei arbeite ich weder mit Kindern, noch bin ich Lehrer. Mein Studium beinhaltete Bildungsorganisation und Beratung und die beiden Dinge tu ich auch.

    Wichtiger als die Bezeichnung des Berufs sind eben die Tätigkeiten. “Was können Sie für mich als Arbeitgeber tun?”, lautet die Schlüsselfrage. Die können aber eben nicht nur junge Menschen, sondern oft auch erfahrene Berufstätige und Jobsuchende nicht beantworten.
    Und genau darum geht’s auch für Berufsanfänger. Die Frage müsste also nicht lauten: “Was willst Du werden?”, sondern “Was willst Du (die nächsten Jahre Deines Lebens) tun?”.
    Ich frage gerne: “Was sind Deine TU-Wörter?”. Dazu hatte ich vor einiger Zeit auch mal was geschrieben:
    http://bit.ly/JGy4h3

  4. Arndt 18. Dezember 2013 at 16:41 - Antworten

    Hi Svenja,

    habe diesen Blogbeitrag bei Xing gepostet und hab darauf diesen Kommentar bekommen, den ich dir nicht vorenthalten wollte:

    “Babette Auhagen: Hm, es scheint mir, Frau Hofert liest nicht allzu viele Romane – in den letzten 5 zeitgenössischen Romanen, die ich gelesen habe, hatte ich es mit Lehrern, Lektoren, Übersetzern, Heilpraktikern und Musikern zu tun…”

  5. […] […]

Einen Kommentar verfassen