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Kann man Können lernen und Kompetenz wirklich messen? Ein Expertengespräch

Veröffentlicht: 13. August 2012Kategorien: Human Ressources

Stellen Sie sich vor: Ein Franchise-Unternehmen  mit vielen eigenwilligen Franchise-Nehmern, die alle Extrawünsche haben, sucht  eine Grafikdesignerin oder einen Grafikdesigner. Ein wenig kreativ soll sie/er sein, doch nicht zu sehr. Die Firmenleitung weiß: Oft wird ein kommunikativer Balanceakt nötig sein, der  zu bewältigen wichtiger ist als künstlerischer Anspruch und Können im Detail.

Häufig ist es genau so: Die fachliche Qualifikation ist nichts als ein Fundament – über Kompetenzen sagt sie nichts aus. Doch erst Kompetenzen machen Fachwissen lebendig – und für Unternehmen nutzbar. Doch wie misst man Kompetenzen, die man kaum beschreiben kann, die nicht sichtbar sind, die kein Test sicher zeigt und die dennoch jeder behauptet zu haben? Über diese Schwierigkeit in der Personalauswahl und Personalentwicklung sprach ich mit dem Psychologen Dr. Stephan Roth vom Kölner Competence House, die Firmenmitglied in meinem Netzwerk Karriereexperten.com sind.

Wie finden Sie heraus, welche Kompetenzen in einem Job wirklich gebraucht werden?

Wir arbeiten mit einem standardisierten Verfahren, dem Kompetenzatlas KODE®.  Der ermittelt 64 Kompetenzen: personale, sozial-kommunikative, Aktivitäts- und Handlungskompetenz sowie Fach- und Methodenkompetenz. Unter letzteres fällt zum Beispiel so etwas wie Marktkenntnis. Entscheidungsfähigkeit ist eine personale Kompetenz, Optimismus eine Aktivitäts- und Handlungskompetenz.

Marktkenntnis herauszufinden dürfte noch leicht sein – aber Entscheidungsfähigkeit?

Das geht nur über ganz konkrete Befragungen. Wir fragen situativ, zum Beispiel danach, was kritische Faktoren für den Job sind oder welches Verhalten genau gefragt ist. Entscheidungsfähigkeit zeigt sich in konkreten Situationen – jedoch sind die Beispiele für diese Entscheidungsfähigkeit nicht in allen Unternehmen gleich. Deshalb ist es wichtig zu wissen, was ein Unternehmen als Entscheidungsfähigkeit definiert. Wie genau zeigt sich das? So mag in der einen Firma das Einhalten von vorgegebenen Wegen bei Entscheidungen Teil dieser Kompetenz sein – bei anderen ist es das entschlossene Handeln nach Sichten der Fakten. Das nennen wir Handlungsanker. Für jede Kompetenz definieren wir mit den Verantwortlichen vier bis fünf solcher Handlungsanker. Bevor wir das tun, legen wir aber die wichtigsten Kompetenzen fest, das sind meist nur eine Handvoll.

Wie findet man diese Kompetenzen?

Man kann sie für eine konkrete Stelle oder für Gruppen festlegen, z.B. für alle Key Account Manager eines Unternehmens. Ich gebe Ihnen das Beispiel eines Vertriebsleiters, für den ein individuelles Profil erstellt wird. Wir fragen nun „Vor welchen Herausforderungen steht er?“ und „Was braucht er, um diese zu lösen?“  Nehmen wir an, die Kunden sind Ärzte und Klinikleiter. Das Unternehmen nennt als Kompetenz, die dringend erforderlich ist, Beziehungsmanagement. Nun fragen wir, woran man gutes Beziehungsmanagement erkennt. Wir erfahren: Die Vergangenheit hat gezeigt, dass es effizient war, wenn die Vertriebsleiter eine zurückhaltende Art der Kommunikation hatten und  informierend verkauften. Als Handlungsanker definieren wir z.B. „kann die Produkte auch im Detail fachlich überzeugend präsentieren“.

Nun kann ein Bewerber ja leicht behaupten, er könne gute Beziehungen aufbauen und pflegen, die Praxis mag anders aussehen.

Im Vorstellungsgespräch würden wir dann sehr genau zu hinterfragen, in welchen Situationen der Kandidat bisher wie vorgegangen ist. Was war das konkrete Verhalten?  Im Beispiel des Vertriebsleiters bietet sich auch eine Arbeitsprobe an: Er soll zeigen, wie er das Produkt vorführen würde.

Nehmen wir einmal etwas, das fast jeden betrifft: Teamfähigkeit ist überall gesucht, aber gemeint sind 1001 verschiedene Verhaltensweisen.

So ist es. Auf die Frage „was ist für Sie Teamfähigkeit?“  könnte das Unternehmen antworten, „wenn der Kandidat  auch aktiv auf schwächere Kollegen zugeht“ oder „wenn eine Person stringent auf eine gute Gesamtleistung hinarbeitet.“  Oder auch „wenn ein Kollege abteilungsübergreifende Aufgaben übernimmt und anderen hilft“.

Trotzdem bleibt Spielraum….

Man muss hier noch weiter fragen. Was genau heißt „anderen helfen“? Anderes Beispiel: Wenn eine Firma z.B. möchte, dass der Teamleiter Entscheidungen durchdrückt, ohne die anderen zu überrollen, muss gefragt werden, wie er das genau macht und was unter „durchdrücken“ zu verstehen ist.

Wie gestaltet sich die Kompetenzmessung im Vorstellungsgespräch? Wie bekommt man heraus, ob der Mitarbeiter nicht nur behauptet, ein toller Projektmanager zu sein?

Wir fragen dann u.a. mit der Critical Incidents Technique, diese ist der bei Ihnen im Blog schon beschriebenen STAR-Technik ähnlich. Dabei werden konkrete Situationen in den Mittelpunkt gestellt, die genau hinterfragt werde. Wie haben Sie sich verhalten und was war das Ergebnis? Vorher haben wir gemeinsam mit dem Unternehmen ermittelt, welches situative Verhalten besonders effizient und welches ineffizient war. Nehmen wir das Beispiel vom Teamleiter, der Entscheidungen „durchdrücken“ muss. Besonders ineffizient war in der Vergangenheit vielleicht das morgendliche Präsentieren von Entscheidungen der Geschäftsführung, besonders effizient das Darstellen übergeordneter Ziele und die Einbindung der Mitarbeiter bei der Lösungsfindung. Also suchen wir jemanden, der in der Vergangenheit bereits so vorgegangen ist oder glaubwürdig darstellen kann, dass er das so machen würde.

Was halten Sie von Tests? Geben diese nicht genügend Aussagen über das erwartende Verhalten?

Eben nicht. Sicher ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ein Mensch, der etwa beim MBTI oder im Big5 ein  Introvertierter ist, von dauernder Neukundenakquise gestresst sein könnte. Aber wie ein Mensch etwas ausfüllt, kann ein Test, der ja auf einer Selbsteinschätzung beruht, nicht erkennen.

Es kann auch jemand im Test sehr extrovertiert sein, also scheinbar geeignet für Kundenakquise, aber trotzdem ein sehr ungeschickter Kommunikator.

Weiterhin sind Tests manipulierbar. Bewerber können erwünschtes Verhalten vermuten und deshalb bewusst beeinflussen, das geht bei fast jedem Test. Wenn Firmen Tests einsetzen, sollten diese aus unserer Sicht immer mit Interviews gekoppelt werden, in denen die Antworten genau hinterfragt werden.

Vernachlässigen Sie auch nicht den Unterschied zwischen Kompetenzen und Potenzialen. Ein Mensch mag die Voraussetzungen, also Potenziale haben, um Kundenakquise erfolgreich zu betreiben, hat die Kompetenz aber nicht entwickelt. Dies zu tun wäre Aufgabe der Personalentwicklung.

Wie wichtig sind angeborene Voraussetzungen, also etwa Talent und Intelligenz. Braucht man Intelligenz, um zum Beispiel analytische Kompetenzen zu entwickeln?

Natürlich braucht etwa ein Business Analyst eine gut durchschnittliche Intelligenz von 100-110, um Prozesse entsprechend durchdenken zu können. Noch wichtiger ist aber oft die Kompetenz Lernbereitschaft, zumal in Berufsfeldern, die sich sehr schnell ändern. Lernbereitschaft ist eine Schlüsselkompetenz, geradezu ein Potenzialtreiber.

Welche Kompetenzen werden in Zukunft noch mehr gefragt sein, zum Beispiel auch mit Blick auf die zunehmende Flexibilisierung und immer mehr Teamwork, das virtuell stattfindet?

Jemand der virtuell Teams leitet, muss Vertrauen aufbauen können. Alle, die in so einem virtuellen Verbund arbeiten, brauchen eine hohe Selbstmanagementkompetenz, die weit über das Zeitmanagement hinausgeht. Es geht nämlich darum, sich auch selbst zu motivieren und eigene Ziele zu setzen. Man muss Aktivität aus sich heraus entwickeln, ohne dass jemand kontrolliert und hinter einem steht. Viele Menschen sind das noch nicht gewöhnt. Das wird ein großes Zukunftsthema werden.

Und was denken Sie über Talent? Ist es angeboren?

Zu einem gewissen Teil bestimmt. Denken Sie an Albert Einstein, dessen Traum es war, ein großer Violinist zu werden, doch er blieb immer nur Mittelmaß. In der Wissenschaft dagegen war er weit überdurchschnittlich, das war seine Stärke – basierend auf seiner analytischen Kompetenz. Dies ist eines von vielen Beispielen, das zeigt, dass es nicht immer nur um Wollen geht, sondern dass das Können manchmal durch Talent in die Wiege gelegt wird.  Vieles, sehr vieles lässt sich aber auch entwickeln, zumindest so, dass man seine Aufgabe besser  erfüllen kann als vorher. Deshalb ist Kompetenzentwicklung so wichtig.

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

2 Kommentare

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  2. Gilbert 17. August 2012 at 12:02 - Antworten

    “Im Vorstellungsgespräch würden wir dann sehr genau zu [SIC!] hinterfragen, in welchen Situationen der Kandidat bisher wie vorgegangen ist. Was war das konkrete Verhalten?”

    Das ist für mich der Schlüssel eines guten Vortsellungsgesprächs. Nicht “Wie würden Sie…” sondern: “Wie haben Sie in Situation XY ganz komkret gehandelt…” Da geht’s dann weniger um Phantasie, als um tatsächlich reproduzierbares Verhalten. Das fällt vielen Kandidaten schwer… (dabei auch mal die Augen beobachten 😉

    Übrigens liebe ich Anschreiben, denn die wimmeln oft von solchen Aussagen wie “ich bin teamorientiert”, “ich bin kreativ”, “ich kann gut in schwierigen Situationen vermitteln”. Hier kann man im Gespräch immer nach konkreten Beispielen fragen.

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