Vor wenigen Jahren war Arbeit noch Arbeit. Die Menschen waren froh, einen halbwegs ordentlichen Job zu haben und erwarteten keine Sinnstiftung von ihm. Mir ist etwas aufgefallen: In dem Maße, in dem die Digitalisierung und Roboter unsere Arbeit bedrohen, halten wir uns mehr an ihr fest. Es ist so, als würden wir ein Spielzeug umarmen, dass uns der böse Nachbarsjunge (Roboter) aus dem Arm reißen will. Dabei merken wir gar nicht, dass wir durch die Sinnsuche an unserer Arbeitsberechtigung festhalten wollen, denn die künstliche Intelligenz könnte sie uns wegnehmen. Was bliebe wäre…. auf den ersten Blick schrecklich: eine Lebensberechtigung. Und da haben wir vielleicht auch die Ursache des Trends am Wickel: Denn eine Lebensberechtigung zu finden ist durchaus schwieriger als eine Arbeitsberechtigung.
Der Trend ist auffällig: Kamen in den Frühzeiten der Sinnsuche vor allem Frauen mit dem Thema Sinn, so sind es in letzter Zeit immer mehr Männer. Viele pendeln von Job zu Job und verzweifeln an der so gar nicht sinnstiftenden Arbeitswelt, die nach außen so „new workig“ daherkommt, nach innen jedoch den Kampf Mensch gegen Roboter immer deutlicher zeigt. Die Sinnlosigkeit einfacher Computertätigkeiten ist offensichtlich, die intelligenten Aufgaben bleiben nur noch den Überfliegern, die Jahrelang Wissen aufbauen konnten. In fast allem ist im Grunde Kollege Computer überlegen, wenn wir wirklich ehrlich zu uns wären – beim Autofahren, der Portfolioanalyse genauso wie bei der Personalauswahl. Die gesamte „Mittelschicht“ der arbeitenden Bevölkerung bekommt damit Identifikationsprobleme, die die einfachen Arbeiter vermutlich nicht registrieren, und für diese vielleicht sogar weniger gelten. Suchen sie doch auch weniger nach Sinn als die Gebildeten. Ist es am Ende nicht so: Die ganz einfachen Arbeiten bleiben und die Mitte fällt weg? Die Arbeit der mittleren, normalen Bildungsbürger, die eine besonders hohe Arbeitsidentifikation haben. Oha. Schauen wir das doch mal genauer an – Punkt für Punkt.

Sieben Dinge werden bei der Suche nach Karriere mit Sinn grundlegend missverstanden.

Irrtum 1: Sinn gibt es ohne Herzensthema. Wahrheit: Sinn braucht Inhalt.

Es ist ehrenhaft, wenn Menschen sich engagieren und für Herzensthemen einsetzen. Wir sollten das viel mehr tun. Die meisten Sinnsucher, die ich so treffe, haben aber gar kein echtes Herzensthema. Die sinnlose Computerarbeit hat sie abgehalten, nach einem zu suchen. So suchen sie Sinn, der nicht näher definiert ist außer über „was Lernen“ und „Sinnvolles tun“. Sich dreckig machen oder die Ärmel hochkrempeln, ohne zu wissen, was das bringt? Darauf können wir uns kaum noch einlassen, und das hat auch mit der Digitalisierung zu tun. Wann waren Sie das letzte Mal draußen und haben im Wald Blätter gerochen oder den Sand durch die Hand rieseln lassen? Wann waren Ihre Gedanken frei? Sehen Sie. Wir gehen nicht mehr raus ohne ein  Ziel vor Augen (muss was bringen!), und somit können wir auch schwerlich Herzensthemen finden.

Irrtum 2: Für Sinn bekommt man Geld. Wahrheit: Sinn ist Freiheit.

Irgendwie muss der Eindruck entstanden sein, dass es viele gute Unternehmen gibt, die für das Grasen auf dem Ponyhof auch noch Geld bezahlen. Man denkt, dort wo der Sinn Kern des Geschäftsmodells ist, müsste auch reichlich Geld fließen. Oft ist das nicht so, und die Wahrheit ist: Dort gibt es nicht nur ebenso sinnbefreite Tätigkeit wie überall sonst auch, sondern auch noch weniger Geld: Langweilige Online-Marketing- und Controller-Jobs, die dann auch noch schlechter bezahlt werden als in einem weniger sinnvollen Umfeld. So lange wir die Roboter nicht ausgebildet haben – oder diese uns – und wir uns nicht neu definiert haben, bleibt Arbeit ein Tauschgeschäft: Einsatz gegen Kohle. Wer darin Augenhöhe sieht, verkennt die Tatsachen und schafft neue Illusionen. Wenn wir für Sinn Geld bekommen, verliert der Sinn seinen Sinn als neutrale und unkäufliche Instanz innerer Freiheit.

Irrtum 3: Jeder braucht einen Sinn

Die kollektive Sinnsucherei hat viele Flöhe in die Ohren junger Menschen gesetzt. Sinn hat einen Statuswert, der in manchen Subkulturen dem Auto längst den Rang abgelaufen hat – und in anderen parallel dazu existiert („äh, Frau Hofert, peinlich, aber ehrlich gesagt hätte ich schon gern einen 5er BMW“). Dass wir dabei aber gar nicht selbst nach Sinn suchen, sondern nur denken, es tun zu müssen, wird nicht gesehen. Sinn ist ein imaterielles Must-Have in einer materiellen Welt ohne Wertelieferanten. Es könnte zum Beispiel sinnvoll sein, sich mal mit dem Sinn seines Lebens zu beschäftigen, und damit meine ich nicht (nur) des Arbeitslebens. Ganz oft wird man dann darauf kommen, dass dieser nichts mit Arbeit zu tun hat. Damit wären wir: Zurück auf 2.

Irrtum 4: Sinn ist persönliche Glückseligkeit. Wahrheit: Glück ist relativ zur Persönlichkeit.

Apropos Ponyhof: Viele sind geprägt von dem Gedanken, dass es einen Job geben muss, der glücklich macht. Das ist dann Sinn, nicht selten sogar der Sinn des Lebens. Persönliches Glück? Glauben Sie? Ich finde es naiv. Glück braucht Unglück, Freude braucht Leid, sonst ist alles hohl. Dauerglücklichkeit hat mehr mit einem sonnigen Gemüt zu tun als mit Sinn. Mich nerven die Dauerglücklichen, ich will auch mal traurig sein dürfen. Da hilft ein Blick auf die griechische Temperamentenlehre: Der Sanguiniker ist nun mal leichter zufrieden zustellen als der Melancholiker. Dessen Tiefe wird er aber nie erreichen. Sinn hat auch mit Persönlichkeit zu tun. Aber rein gar nichts mit Glückseligkeit.

Irrtum 5: Sinn setzt da an, wo ich „ich“ bin. Wahrheit: Wir sind nicht Ich.

Das Leben entwickelt oder bremst uns. Und da die Arbeit Teil des Lebens ist, mitunter auch der größte, entwickelt oder bremst sie uns sehr. Das wird oft verwechselt. Viele denken, sie sind so wie sie sind und seien eine bereits ausgewachsene Pflanze (gibt es die?). Doch dem ist nicht so: In uns steckt Saatgut in Form von Möglichkeiten, etwas zu werden. Je nach Umfeld geht dieses mehr oder weniger auf. Aber wir kommen nicht als Fertigpflanze auf die Welt und auch nicht aus Schule oder Studium. Es geht beim Wachsen immer auch um unangenehme Dinge: Mit Konflikten umgehen, selbstbewusster werden, über uns herauszuwachsen. Das ist oft ganz schwierig und manch Weg führt durch Täler der Dunkelheit. In den Tälern der Dunkelheit entsteht oft die Idee, dass ein neuer Job hermüsse, alternativ, dass Sinn das Gefühl innerer Leere kompensieren könne.
Doch diese Täler sind oft der Anfang von Ich-Entwicklung. In ihnen merken wir beispielsweise wie abhängig wir sind, wie wenig selbst, wie wenig bei uns. Wer das erkannt hat, klettert hoch zum Ich.

Irrtum 6: Arbeit muss Lebensinhalt sein. Wahrheit: Wenn sie das ist, gibt es ein Problem.

Wenn wir im Karrierecoaching hinter die Kulissen von Jobwechselwünschen schauen, so sind es manchmal tote Pferde, die wir reiten, oft aber auch höchstlebendige Gaule, die uns immer wieder abwerfen oder die einfach nur eingeritten sind. Sich im Sattel zu halten, kann der eigentliche Sinn sein, wenn wir es mit abwerfenden Gaulen zu tun haben. Neue private Interessen zu finden ist oft der Sinn, wenn der Gaul eingeritten ist. Überlegen Sie also gut, was wirklich die Ursache Ihrer Sinnsuche ist. Wer an das große Ganze glaubt, wird vielleicht in der Suche nach einer Lebensaufgabe den Sinn finden. Wem das zu spirituell ist, der mag vor der eigenen Haustür fündig werden, in der Liebe zum Nächsten, zu Tieren, zur Natur. Auch das Leben genießen darf Sinn sein, alternativ auch, es einfach zu leben und dabei auf der guten Seite der Integren, Redlichen zu sein (denn wie viele sind auf der schlechten, oft ohne es zu merken).
Der Job als Sinnstifter? Letzteres kann so wenig funktionieren wie der Partner als Sinnstifter. Arbeit muss kein Lebensinhalt sein, sie darf auch schlicht dem Broterwerb dienen. Oder der Strukturierung des Lebens und das Alltags. Es gibt viele Gründe zu arbeiten, die nichts mit der Art von Sinn zu tun haben, die wir hinter diesem Begriff vermuten.

Irrtum 7: Arbeit muss Spaß machen. Wahrheit: Arbeit ist ein Spiel mit vielen Leveln.

Manche sind beseelt von dem Glauben, dass Arbeit ein großes Spiel ist. In ihrer Sandkiste muss es immer hoch hergehen. Sie messen den Sinn am Spaßfaktor. Dass etwas Sinnvolles anstrengend sein kann und unter dieser Anstrengung vielleicht gar nicht als sinnvoll angesehen wird, erkennen sie nicht. In der Tat hat Arbeit viel von einem Strategiespiel mit vielen Leveln. Manche bleiben auf einem Level stehen, andere knacken eines nach dem anderen. Die Herausforderungen des Arbeitsspiels sind unterschiedlich, aber es sind immer Herausforderungen, die mit uns selbst zu tun haben.
Der Unterschied zum Computerspiel:
• Wir spielen direkt mit anderen Menschen zusammen.
• Uns ist nicht bewusst, dass wir in einem Spiel agieren.
• Es ist live.
• Es kann NICHT mit dem Ausschalter beendet werden (außer durch Selbstmord, aber auch darüber ließe sich aus spiritueller Sicht durchaus streiten).
Diese Punkte vergessen viele, die in ihrem Spiel Provisionen jagen oder den eigenen Gewinn suchen, siehe den aktuellen Fall des Volkswagen-Managers, an dem sich Ethiker abarbeiten können.
Die gute Seite ist eindeutig unterbesetzt. Vergessen wir also nicht: Das Leben ist unser Spiel, und wir bestimmen unser Level. Allein das kann schon ganz schön viel Sinn machen.

Dazu passen:

Und

Sonnen: ©Artenauta – Fotolia.com

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

3 Kommentare

  1. Friederike 25. März 2017 at 11:59 - Antworten

    Ein sehr mutiger Text, den man beim 1. Mal lesen garnicht in seiner Komplexität aufnehmen kann. Beim Aldi an der Kasse angefangen zu lesen und nun mit Jacke zu Hause zu Ende gelesen, bevor ich nun die Einkäufe reinhole. Daran sieht man: er hat mich gefesselt. Ich glaube nicht, dass ich die Aussagen darin alle unterschreiben würde, dafür wären Erläuterungen nötig, am besten ein Gespräch, aber: Hut ab davor dieses im wörtlichen Sinne “sinnstiftendes” Thema anzugehen.

    • Svenja Hofert 27. April 2017 at 22:11 - Antworten

      ganz lieben Dank für das Feedback. Ich hatte in den letzten Wochen so viele Spamattacken aus Russland – 25 Kommentare am Tag -., dass ich ihn nicht gesehen und freigeschaltet habe, SORRY. herzliche Grüße Svenja Hofert

  2. Sonja Rieder 30. März 2017 at 10:22 - Antworten

    Liebe Svenja,

    dein Artikel kommt zur absolut richtigen Zeit und ich pflichte dir in vielem bei. Sinn ist ein sehr vielschichtiges Phänomen; dass er unbedingt, schön handlich verpackt, in Form des perfekten Arbeitsplatzes daher kommt, wäre für viele wünschenswert, so simpel funktioniert das Leben allerdings nicht.
    Sinn will im Laufe des Lebens immer wieder neu erforscht, gefunden und auch wieder freigegeben werden.
    Danke für deine differenzierten Überlegungen – wünsche deinem Artikel viele Leser, die sich dadurch vielleicht leichter von der Mär des vorgefertigten Glücks von außen ein wenig lösen können.

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